Kataraktchirurgie in der Praxis erlernen – Ein Erfahrungsbericht von Max Griebsch
GRIMMA Zum Ende des Medizin studiums, aber spätestens als junger Weiterbildungsassistent überlegen viele Kollegen und Kolleginnen: „Wie gestalte ich meine Weiterbildungszeit sinnvoll?“ Weiterhin muss in Deutschland jeder Weiterbildungsassistent für sich ent scheiden: „Was für ein Augenarzt möchte ich einmal sein?“ Will man ausschließlich konservativ tätig sein, möchte man operieren oder eher forschen?
Nach einer Famulatur im Moorfields Eye Hospital in London im Jahr 2015 hatte ich den endgültigen Entschluss gefasst, nach meinem Medizinstudium Augenarzt zu werden. In dieser kurzen Zeit durfte ich unter anderem bei Prof. Geoffrey Rose, Prof. Sir Richard Collin und Paul Sullivan hospitieren. Sofort hatte mich das Ausbildungssystem in Großbritannien fasziniert, welches sehr auf eine ophthalmochirurgische Ausbildung unter intensiver Super vision fokussiert ist. Die Weiterbil dung bis zum Facharzt (Specialist) ist in Großbritannien mit sieben Jahren zwar erheblich länger als in Deutsch land, aber jeder durchläuft bis dahin eine strukturierte operative Ausbil dung. Ein Weiterbildungsassistent in Großbritannien (Registrar) muss innerhalb der sieben Jahre einen OP Katalog erfüllen, welcher unter anderem 350 Katarakt-Operationen, 20 SchielOperationen und weitere Eingriffe umfasst, die selbstständig durchgeführt und beherrscht werden müssen – unabhängig davon, ob man später operieren möchte oder nicht. Das Ausbildungsangebot der Augenheilkunde in Deutschland ist sehr vielfältig und reicht von Universitätsaugenkliniken, Zentren der Maximalversorgung, kleineren privaten oder städtischen Krankenhäusern, großen ambulanten Zentren bis hin zur Einzelpraxis. Ich selbst habe die ersten beiden Jahre meiner Weiter bildungszeit in einer Uniklinik in Deutschland absolviert. Diese Zeit hat mich sehr geprägt. Ich habe viele Pathologien gesehen, auch so man chen „Kolibri“. Ich zehre noch immer enorm von dem Wissen, welches ich in der Uniklinik erwerben durfte und empfehle auch allen angehenden Kolleginnen und Kollegen, zumindest einen Teil ihrer Ausbildung an einem Zentrum der Maximalversorgung zu absolvieren. Dennoch musste ich spä testens während meiner Arbeit an der Uniklinik feststellen, dass die Weiterbildung in Deutschland sehr auf konservative Augenheilkunde ausgerichtet ist und dass es eine operative Aus bildung, wie sie in Großbritannien praktiziert wird, hierzulande nichtgibt. Nachdem ich zwei Jahre in einer Universitätsaugenklinik gearbeitet habe, wollte ich mir die Arbeit und das Spektrum in einer Praxis ansehen. Es zog mich in das Leipziger Umland in die Augenarztpraxis Dr. Hubertus v. Below in Grimma. Hier teilen sich vier Fachärzte und zwei Assistenzärzte die Arbeit. In der Praxis werden ambulante Operationen durchgeführt. Dank eines Belegbettenvertrages mit den Muldentalkliniken Grimma können Operationen auch unter einem stationären Setting angeboten und durchgeführt werden.
Mein Chef Dr. v. Below vereinbarte mit mir, dass wir eine operative Ausbildung im Rahmen der Möglichkeiten der Praxis auch schon in der Weiter bildungszeit versuchen würden. Man wurde als Assistenzarzt zunächst für zwei OPTage wöchentlich eingeteilt. Für jeden dieser beiden Tage wurden zwei Katarakt-Operationen weniger eingeplant, um dem Assistenzarzt genü gend Ausbildungszeit im OP zu gewähren. Man durfte als Assistenzarzt zunächst nur bei Patienten mitoperieren, deren zweites Auge am Grauen Star operiert wurde. Ausschlusskriterien waren Patienten, die zur KataraktOperation des ersten Auges in unsere Praxis kamen, Oculusultimus Situationen und ÜberweiserPatienten. Letztere wurden aus logistischen Gründen aus geschlossen, um diesen Patienten, welche eventuell eine intensivere post operative Nachbetreuung benötigen, häufige und weite Fahrwege zu ersparen. Jeder Patient, der für die operative Ausbildung infrage kam, wurde im Rahmen des OPVorbereitungsgespräches darüber aufgeklärt, dass ein Weiterbildungsassistent einzelne Schritte der KataraktOperation unter Super vision eines Facharztes durchführen soll. Dabei wurde der Patientenwunsch bezüglich des Operateurs in jedem Fall berücksichtigt. Es gab allerdings seit März 2020 nur zwei Patienten, die es ausgeschlossen hatten, dass ein Assistenzarzt mitoperieren sollte.
Die einzelnen Schritte der Katarakt-Operation wurden von den letz ten hin zu den ersten unter Supervision erlernt. Die Rhexis und das Erlernen horizontaler und vertikaler ChopTechniken beanspruchten hier bei verhältnismäßig deutlich mehr Zeit und Geduld. Die erste Katarakt-Operation konnte ich nach zweiein halb Monaten von Anfang bis Ende selbstständig durchführen. Nach 13 Monaten hatte ich 100 Fälle und nach mehr als zwei Jahren 500 Fälle operiert. Bis zu dem Tag, als dieser Artikel verfasst wurde (13.12.2022), habe ich als Assistenzarzt 665 Phako emulsifikationen selbstständig operiert, davon die ersten 100 Fälle unter Supervision eines Facharztes.
Nach den ersten 100 Fällen entfie len die meisten der oben genannten Ausschlusskriterien und man durfte als Weiterbildungsassistent ohne Supervision in einem separaten OP Saal parallel zum Facharzt operieren. Entsprechend des Ausbildungsstandes wurden mir schrittweise kompliziertere Fälle in der OPListe zugeteilt. Zunächst waren dies Patienten mit engen Pupillen und FloppyIris Syndrom unter TamsulosinMedika tion, welche mithilfe von IrisRetrak toren oder Pupillenexpandern operiert wurden. Ab dem 200. Fall wurden auch gelegentlich mature Katarakte operiert.
Im Rahmen einer operativen Aus bildung treten auch schwere Komplikationen auf. Ich selbst hatte sechs hintere Kapselrupturen. Bei einem Patienten war die komplette Linse in den Glaskörper gefallen. Hier muss man realistisch und ehrlich darauf hinweisen, dass in unserer Praxis keine Netzhautchirurgie durchgeführt wird. Der Patient wurde anschließend in die Uniklinik überwiesen und dort mittels ParsplanaVitrektomie und Sulkus implantierter Intraokularlinse versorgt.
Das oben genannte Konzept zeigt, dass eine operative Ausbildung im Rahmen der Weiterbildungszeit (in einer Praxis) auch in Deutschland möglich ist. Dem Autor ist bewusst, dass die operative Ausbildung nur im Rahmen der Möglichkeiten eines ambulanten Settings erfolgen kann und Eingriffe mit höherem Komplikationspotenzial in Kliniken zu erlernen sind. Wir erhoffen uns eine engere Zusammenarbeit zwischen nieder gelassenen Augenärzten und Zentren der Maximalversorgung im Sinne einer Optimierung der Patientenversorgung und einer weiteren Verbesserung der Ausbildungsqualität künftiger Assistenzarzt-Generationen.
Autor:
Dr. med. Max Griebsch
Augenarztpraxis Dr. med. Hubertus v. Below Leipziger Str. 45, 04668 Grimma
EMail: max.griebsch@web.de